1326/20 Zustand der Erfurter Brücken

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

es ist bereits seit längerer Zeit bekannt, dass noch eine Vielzahl von Brücken in Erfurt sanierungsbedürftig ist und unvermittelt versagen könnte. Dies stellt für die Öffentlichkeit eine erhebliche Gefahr dar. In Bezug auf den Umsetzungsstand des Brückensanierungskonzepts frage ich daher:

  1. Wie wird durch die Stadtverwaltung der Bau- bzw. Sicherheitszustand der einzelnen noch nicht sanierten Erfurter Brücken jeweils eingeschätzt und welche sichere Restlaufzeit kann jeweils garantiert werden?
  2. Welche Brücken sind der Stadtverwaltung bekannt, die noch in einem Zustand sind, in dem ein Versagen nicht sicher ausgeschlossen werden kann?
  3. Bis wann ist die Sanierung abgeschlossen und wie stellt sich die Finanzierung bis zum Abschluss der Sanierung dar?

Antwort des Oberbürgermeisters

Sehr geehrter Herr Schlösser,

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

1. Wie wird durch die Stadtverwaltung der Bau- bzw. Sicherheitszustand der einzelnen noch nicht sanierten Erfurter Brücken jeweils eingeschätzt und welche sichere Restlaufzeit kann jeweils garantiert werden?

Die Landeshauptstadt Erfurt ist als Straßenbaulastträger für die ausreichende Stand- und Verkehrssicherheit der in ihrer Zuständigkeit liegenden Straßen und Verkehrsbauwerke verantwortlich. Gesetzliche Grundlage hierfür ist das Thüringer Straßengesetz sowie das Bürgerliche Gesetzbuch.

Für die Ingenieurbauwerke im Zuge öffentlicher Straßen wird mit der DIN1076 die kontinuierliche Zustandserfassung der Bauwerke geregelt. Mithilfe von Kontrollen, Besichtigungen, einfachen und Hauptprüfungen wird der Gesamtzustand aller sichtbaren Bauteile kontinuierlich untersucht. Auf Grundlage der RI-EBW-Prüf wird anhand normierter Schadensbewertungen eine Gesamtzustandsnote für jedes Bauwerk ermittelt. Diese Note sagt aus, in welchem zeitlichen Horizont Leistungen an dem Bauwerk erforderlich werden. Gleichzeitig ist sie Hauptkriterium für die Reihenfolge der Prioritäten von notwendigen baulichen Maßnahmen. Somit wird eine Dokumentation der Zustandsentwicklung des Bauwerks möglich und Mängel oder Schäden können frühzeitig erkannt werden. Bei ausreichenden finanziellen Möglichkeiten kann rechtzeitig einem zunehmenden Verschleiß entgegengewirkt werden und die normierte Lebensdauer der Bauwerke unter voller Nutzung erreicht oder gar übertroffen werden.

Die Gesamt- und /oder Restlebensdauer eines Bauwerks ist von vielen Faktoren abhängig und kann nur als Momentbeobachtung eingeschätzt werden. Auf einzelne Punkte, wie zukünftige Verkehrsentwicklungen, Achslasten, Stadtentwicklung u.ä.kann nicht immer weit vorausblickend reagiert werden, sodass sich die Restlebensdauer als dynamischer Wert darstellt. In der Regel können aber folgende Gesamtlebensdauern für Bauwerke angesetzt werden, bevor ein Ersatzneubau erforderlich wird:

  • Stahlbetonbauwerke 80-100 Jahre
  • Spannbetonbauwerke 60-80 Jahre
  • Stahlbauwerke 50-80 Jahre

2. Welche Brücken sind der Stadtverwaltung bekannt, die noch in einem Zustand sind, in dem ein Versagen nicht sicher ausgeschlossen werden kann?

Eine Vorhersage eines Versagens eines Bauwerks ist praktisch nicht möglich und kann nie auf einen genauen Zeitpunkt festgelegt werden. Vielmehr sind alle Bemühungen darauf ausgerichtet, einen Versagenszustand nicht zu erreichen und unter Beachtung einer notwendigen Restsicherheit das Bauwerk im Vorfeld einer kritischen Situation zu ertüchtigen oder neu zu errichten.

Im Rahmen des Erhaltungsmanagements für die städtischen Verkehrsbauwerke finden auf Grundlage der Zustandserfassungen grundsätzlich sukzessive Gegenmaßnahmen statt, die eine Nutzbarkeit und Aufrechterhaltung der Standsicherheit so lange wie möglich gewährleisten sollen. Demzufolge werden oftmals Tragfähigkeitseinschränkungen ausgeschildert, Fahrspuren eingeschränkt und der Kontrollrhythmus verkürzt.

Grundsätzlich muss mit Blick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Landeshauptstadt der hohe Instandsetzungs- oder Erneuerungsbedarf sinnvoll gesteuert werden, immer mit dem Ziel, mit vertretbaren Einschränkungen die Leistungsfähigkeit der städtischen Verkehrsinfrastruktur aufrechtzuerhalten.

In der Landeshauptstadt Erfurt gibt es aktuell keine akut standsicherheitsgefährdeten Brückenbauwerke. Hier wurden in den letzten 10 Jahren viele entsprechende Bauwerke erneuert bzw. instandgesetzt. So wurden von 15 dringend zu erneuernden oder instand zu setzenden Bauwerken 12 abgearbeitet (s. auch Brückenzustandsbericht 2010, Drucksache 1590/10, Beschluss des Ausschusses für Bau und Verkehr vom 04.11.2010).

Im letzten Jahrzehnt ist das Problem der Spannungsrisskorrosion bei Spannbetontragwerken in den Fokus gerückt, welches zunehmend den Plan der zukünftigen Brückeninvestitionen der Landeshauptstadt Erfurt bestimmen wird und sich als hohe finanzielle Belastung darstellt.

Brücken, in die der gefährdete Spannstahl eingebaut wurde (Einbauzeit bis 1993), können in sich ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko bergen, sofern sich der Versagenszustand des Tragwerks nicht rechtzeitig ankündigt und spontan eintreten kann. Mit einem rechnerischen Nachweis zum Ankündigungsverhalten nach dem Riss-vor-Bruch-Kriterium lässt sich das Versagensrisiko eines Bauwerks eingrenzen (Grundlage  Handlungsanweisung BAST 2011).

Ein ausreichendes Ankündigungsverhalten und damit eine Risikominimierung ist dann gegeben, wenn sich bereits frühzeitig und unter Gebrauchslasten eine deutlich erkennbare Rissbildung einstellt, noch bevor unter voller Verkehrsbeanspruchung die Tragsicherheit auf ein unzulässig niedriges Niveau fällt.

Die Zeit bis zum vollständigen Versagen eines Bauteils/Bauwerks kann allerdings zwischen einigen Minuten und mehreren Jahrzehnten liegen.

Die Landeshauptstadt Erfurt hat insgesamt 29 Brückenbauwerke die aufgrund ihres verwendeten Hauptbaustoffes (Spannbeton) und ihrer Herstellungszeit ein potenzielles Spannungsrissrisiko der verbauten Spannstähle besitzen.

Die Bauwerke wurden im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich einer Untersuchung gemäß der geltenden Handlungsanweisung der BAST (veröffentlicht 2011) unterzogen, um festzustellen, ob ein rechnerisches oder statistisch ermitteltes Ankündigungsverhalten (Riss vor Bruch) vorliegt.

Im Rahmen einer gutachterlichen Bewertung wurde erstmals in einer umfassenden Betrachtung eine einheitliche Risikobewertung und Handlungsempfehlung für die gefährdeten Erfurter Brücken erstellt. Auf Grundlage dieser Handlungsempfehlung ist die weitere Vorgehensweise des Tiefbau- und Verkehrsamtes ausgerichtet.

Aus fachlicher Sicht ist eine Risikoeinschätzung hinsichtlich eines drohenden Versagens bei Bauwerken ohne Ankündigungsverhalten schwierig bzw. gar nicht möglich, da hier im Versagensfall keine Vorankündigung erfolgt. Für Bauwerke mit einem Ankündigungsverhalten kann durch ein engmaschiges Kontrollnetz der Schadensfall rechtzeitig erkannt werden, da sich im Vorfeld typische Erkennungsmerkmale zeigen (Rissbildungen, Verformungen usw.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen an den Brücken mit Ankündigungsverhalten keine Schadensbilder vor, die auf ein beginnendes Versagen infolge Spannungsrisskorrosion hindeuten. Dieser Sachstand ist allerdings nur als Momentaufnahme zu werten.

Einerseits sind im Brückenbau bislang keine schwerwiegenden Schadensfälle bekannt, andererseits ist dieser Umstand kein Garant für den zukünftigen Verlauf. Somit ist eine allgemein gültige Aussage zu einem konkreten Risikopotential für die nächsten Jahre nicht machbar.

Durch das Tiefbau- und Verkehrsamt wurde ein Maßnahmeplan entwickelt, der vorsieht, die Bauwerke ohne Ankündigungsverhalten priorisiert durch Neubauten zu ersetzen. Fortführend soll dieser Plan auch für Bauwerke mit Ankündigungsverhalten umgesetzt werden. Die Reihen-folge bestimmt sich nach der eingeschätzten Priorität auf der Grundlage der Funktion des Bauwerks im Straßennetz, der Belastung und des Erhaltungszustandes.

Gleichfalls von dieser Thematik betroffen sind 3 gefährdete Bauwerke in der Verantwortung der EVAG. Es wurden ermittelt:

29 gefährdete Spannbetonbrücken

15 Bauwerke ohne Ankündigungsverhalten

  • 2 monolithische Brücken
  • 13 Fertigteilbrücken (BT 50/500)
  • 6 Hauptverkehrsstraßen
  • 1 Verkehrsstraßen
  • 3 Nebenstraßen
  • 5 Fußgängerbrücken
  • 3 Hohe Priorität
  • 7 Mittlere Priorität
  • 5 Niedrigere Priorität

14 Bauwerke ohne Ankündigungsverhalten

  • 7 monolithische Brücken
  • 7 Fertigteilbrücken (BT 50/500)
  • 6 Hauptverkehrsstraßen
  • 3 Verkehrsstraßen
  • 2 Nebenstraßen
  • 3 Fußgängerbrücken
  • 0 Hohe Priorität
  • 4 Mittlere Priorität
  • 10 Niedrigere Priorität

Zwei monolithische Spannbetonbrücken ohne Ankündigungsverhalten (Gerabrücke Warschauer Straße und Fußgängerbrücke Schmidtstedter Straße „Promenadendeck“) werden in den nächsten 2 Jahren durch Neubauten ersetzt. Die dritte Brücke hoher Priorität (Brücke Schwarzburger Straße) ist im Mehrjahresinvestitionsprogramm des Tiefbau- und Verkehrsamtes zeitnah berücksichtigt.

Bei Bauwerken ohne Ankündigungsverhalten muss die weitere Vorgehensweise geteilt betrachtet werden:

Die Fertigteilbauwerke mit einem rechnerisch nicht nachweisbaren Ankündigungsverhalten werden in ihrer Priorität zurückgestuft und wie Bauwerke mit einem Ankündigungsverhalten behandelt (Grundlage ist die Übernahme der Regelung des TLBV und des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr Mecklenburg-Vorpommern). Diese Regelung beruht auf der Beachtung der konstruktiven Eigenart der Fertigteilbrücken und auf der Annahme eines theoretisch nicht nachweisbaren aber dennoch praktisch vorhandenen Ankündigungsverhaltens der Fertigteilbauwerke. Dieser Sichtweise der beiden Landesstraßenbaubehörden wird durch das zuständige Tiefbau- und Verkehrsamt gefolgt.

3. Bis wann ist die Sanierung abgeschlossen und wie stellt sich die Finanzierung bis zum Abschluss der Sanierung dar?

Einen festen Zieltermin anzugeben ist unter den gegebenen Umständen nicht möglich, da die finanzielle Leistungsfähigkeit der Landeshauptstadt, die Verfügbarkeit möglicher Förderprogramme und die weitere Zustandsentwicklung der maßgeblichen Bauwerke bestimmende Faktoren in der Zeitkette sind.

Ausgehend von der bisherigen Leistungsfähigkeit in der Erneuerung des städtischen Brückenbestands, ist es realistisch anzunehmen, dass je Kalenderjahr ein größeres Brückenbauwerk erneuert werden kann. Demzufolge kann für die Abarbeitung des Erneuerungsprogramms für Spannbetonbauwerke ohne Ankündigungsverhalten ein Zeitraum von 15–20Jahren angesetzt werden. Für die Spannbetonbauwerke mit einem Ankündigungsverhalten sind danach weitere 10–15 Jahre anzusetzen.

Vor dem Hintergrund möglicher Synergieeffekte bei ohnehin anstehenden Straßenbaumaßnahmen, muss bis zu einem Abschluss des Erneuerungsprogramms bei von Spannungsrisskorrosion betroffenen Brückenbauwerken von einem Gesamtzeitraum von ca. 25–30Jahren ausgegangen werden.

Mit freundlichen Grüßen

A. Bausewein

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