1751/22 Tatsächlicher Aufenthalt und Finanzierung von auf der „Ukraine-Route“ seit dem 1. Juni 2022 in das Gebiet der Stadt Erfurt eingereisten „Geflüchteten“ – Teil 2

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Medienveröffentlichungen ist zu entnehmen, dass über die sog. UkraineRoute nach Deutschland eingereiste „Geflüchtete“ Leistungen nach dem SGB II beziehen, ohne im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen, nach § 6 SGB zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende, über einen tatsächlichen festen Wohnsitz zu verfügen. Betroffen hiervon sollen insbesondere Leistungen nach §§ 19 und 28 SGB II sowie Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII und Kindergeldzahlungen nach dem BKGG sein.


Durch den sog. „Rechtskreiswechsel“ seit dem 01. Juni 2022 von „Geflüchteten“, die über die sog. UkraineRoute nach Deutschland gelangen, müssen sich die kreisfreien Städte und Landkreise seit dem 01. Juni 2022 nach § 3 Abs. 3 der Verordnung zur Festlegung und Anpassung der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung vom 25. Juni 2021 (BundesbeteiligungsFestlegungsverordnung 2021 BBFestV 2021) mit 30,5 v. H. an den Kosten
der Unterkunft (KdU) nach § 22 SGB II aus eigenen Haushaltsmitteln beteiligen. In der Bundesbeteiligung nach § 3 Abs. 3 BBFestV 2021 i. H. v. 69,5 v. H. sind auch Leistungen nach § 28 SGB II und § 34 SGB XII (Bildung und Teilhabe) enthalten. Bei den kreisfreien Städten in Thüringen sind die nicht durch Bundesmittel gedeckten, vorstehend genannten Leistungen, über allgemeine Haushaltsmittel, u. a. zu Lasten freiwilliger Aufgaben und bei den Landkreisen zumindest anteilig über die Kreisumlage der kreisangehörigen Gemeinden und Städte zu finanzieren.


Nach § 1 ThürAGSGB II sind die Landkreise und kreisfreien Städte als kommunale Träger und die zugelassenen kommunalen Träger (Jobcenter unter Beteiligung der kreisfreien Stadt) Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und führen die Aufgaben nach dem SGB II im eigenen
Wirkungskreis aus. Aufgrund § 1 Abs. 1 ThürAGSGB XII sind die kreisfreien Städte und Landkreise örtliche Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII und führen die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) als Selbstverwaltungsaufgabe aus.

Es wird daher um Beantwortung der folgenden Fragen gebeten:

  1. Erfolgt durch die Stadt bei über die sog. „UkraineRoute“ zugereisten „Geflüchteten“, die
    Leistungen nach dem SGB II und SGB XII empfangen, eine Überprüfung der tatsächlichen,
    alleinigen Wohnsitznahme im Gebiet der Stadt Erfurt als Leistungserbringer, wenn ja, wie
    und werden auch Bestätigungen des Vermieters nach § 19 des Bundesmeldegesetzes (BMG)
    auf ihre Rechtskonformität hinsichtlich des beim jeweiligen Vermieter tatsächlich
    vorhandenen Wohnraumes geprüft, wenn ja, wann und wie?
  2. Welche Vorkehrungen hat die Stadt gegen unzulässige, strafbare Mehrvermietungen an
    Empfänger von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII getroffen?
  3. Sieht der Oberbürgermeister das derzeit für Thüringen geltende System des Bezugs von
    Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für sein Stadtgebiet als missbrauchsgeschützt an
    und wenn ja, warum?

 

Ihre Anfragen beantworte ich wie folgt:

1. Erfolgt durch die Stadt bei über die sog. „UkraineRoute“ zugereisten „Geflüchteten“, die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII empfangen, eine Überprüfung der tatsächlichen, alleinigen Wohnsitznahme im Gebiet der Stadt Erfurt als Leistungserbringer, wenn ja, wie und werden auch Bestätigungen des Vermieters nach § 19 des Bundesmeldegesetzes (BMG) auf ihre Rechtskonformität hinsichtlich des beim jeweiligen Vermieter tatsächlich vorhandenen Wohnraumes geprüft, wenn ja, wann und wie?

Die Erstregistrierung der ukrainischen Flüchtlinge erfolgt ämterübergreifend am Tag der Ankunft in der Landeshauptstadt Erfurt in der Erfurter Willkommensagentur des Amtes für Soziales. Dabei arbeiten das Sachgebiet
Migration des Amtes für Soziales sowie der Bereich Meldeangelegenheiten des Bürgeramtes zusammen. Da die Landeshauptstadt im Monat nach der Ankunft unterbringungsverpflichtet ist, ist die tatsächliche Wohnsitznahme
gegeben. Diese wird durch die Sozialarbeit in den Unterkünften auch nachgehalten.


Wohnungsgeberbestätigungen nach § 19 Bundesmeldegesetz (BMG) werden bei Anmeldungen, unabhängig von Staatsangehörigkeit und Leistungsbezug nach dem SGB II oder SGB XII, auf formelle Korrektheit geprüft. Anmeldungen werden nur an bekannte und geprüfte Wohnanschriften vorgenommen. Dies ist durch das Fachverfahren sichergestellt.


Bei Ausstellung von Wohnungsgeberbescheinigungen durch Personen, die nicht Eigentümer sind (i.d.R. Untervermietung), erfolgt zusätzlich ein händischer Abgleich auf Plausibilität der Angaben mit dem Melderegister.


Bei Verdacht auf Falschanmeldung wird ein behördliches Ermittlungsverfahren (BEV) eingeleitet, welches tiefergehende Prüfungen beinhaltet (z.B. Prüfung von Eigentumsverhältnissen, örtliche Ermittlung). Verdachtsmomente können u. a. durch unplausible Angaben, Anzeigen, Postrückläufer entstehen. Sollte sich der Verdacht einer Falschanmeldung (ggf. auch in Mitwirkung eines Wohnungsgebers) bestätigen, werden Bußgeld- bzw. Strafverfahren eingeleitet.

2. Welche Vorkehrungen hat die Stadt gegen unzulässige, strafbare Mehrvermietungen an Empfänger von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII getroffen?


Unter Verweis auf die Antwort zu Frage 1wird zusätzlich auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 22.09.2009 hingewiesen (B 4 AS 8/09 R).


Demnach sind Mietzinsen als tatsächliche Aufwendungen berücksichtigungsfähig, soweit sie auf der Grundlage einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhen und vom Hilfebedürftigen tatsächlich gezahlt werden. Hält der Grundsicherungsträger eine Mietzinsvereinbarung für unwirksam, kann er das Kostensenkungsverfahren betreiben. Die
Kostensenkungsaufforderung muss den Hilfebedürftigen in den Fällen einer zivilrechtlich unwirksamen Mietzinsvereinbarung in die Lage versetzen, seine Rechte gegenüber dem Vermieter durchzusetzen.


Entsprechend wird bei den Trägern verfahren.


3. Sieht der Oberbürgermeister das derzeit für Thüringen geltende System des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für sein Stadtgebiet als missbrauchsgeschützt an und wenn ja, warum?


Die rechtlichen Vorgaben des Gesetzgebers zur Verfolgung von Leistungsmissbrauch in den Sozialgesetzbüchern werden als ausreichend angesehen. Die dort der Verwaltung an die Hand gegebenen Instrumente sind geeignet, diesem bei begründeten Verdachtsfällen nachzugehen und aufzudecken.

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