2157/20 Grundlagen zur effektiveren Unterstützung von jungen Erwachsenen schaffen, welche die stationäre Kinder-und Jugendhilfe oder Pflegefamilie verlassen haben

Grundlagen zur effektiveren Unterstützung von jungen Erwachsenen schaffen, welche die stationäre Kinder- und Jugendhilfe oder Pflegefamilie verlassen haben

Sachverhalt:

Zwischen 17 und 19 Jahren endet für die meisten hilfebedürftigen Jugendlichen die Jugendhilfe. Ohne stabile Beziehungen und familiäre Unterstützung werden sie vor besondere Herausforderungen gestellt. Mit ihrer Volljährigkeit wird vom Jugendamt erwartet, dass diese ihr Leben alleine in allen Bereichen organisieren können. Tatsächlich haben sie große Probleme bei der Antragsstellung von Geldern, da Ämter sich entweder nicht für zuständig erachten oder zur Antragstellung Informationen zu den leiblichen Eltern, welche für den Antragssteller nicht oder nur schwer zu erfahren sind, fehlen. Viele sind dadurch dazu gezwungen, ohne Rücksicht auf ihre tatsächlichen Zukunftswünsche arbeiten zu gehen, um sich zunächst finanziell halbwegs absichern zu können. So kommt es mehreren Berichten zufolge dazu, dass nur weniger als fünf Prozent der jungen Erwachsenen, welche die stationäre Kinder- und Jugendhilfe oder Pflegefamilie verlassen haben, studieren gehen und nur ein bis zwei Prozent überhaupt einen Hochschulabschluss absolvieren. Den Jugendlichen ist es zudem nicht möglich, im Zeitraum der Jugendhilfe Geld für die Zeit unmittelbar nach Ende der Hilfe anzusparen, da insgesamt 75% ihres Einkommens an das Jugendamt gezahlt werden muss.

Mithilfe einer statistischen Erhebung ist es möglich, Hilfepläne und anderweitige Unterstützungen zu optimieren sowie weitere zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen. Es soll diesen jungen Erwachsenen, teilweise Jugendlichen einfacher gemacht werden, ungeachtet ihrer finanziellen und sonstigen Situation, ihre Schule zu beenden und eine Ausbildung bzw. ein Studium beginnen und abschließen zu können.

Beschlußvorlage:

01 Das Jugendamt wird beauftragt, ab 2021 jährlich eine statistische Erhebung zu jungen Erwachsenen aus Erfurtern vorzunehmen, welche die stationäre Kinder- und Jugendhilfe oder Pflegefamilie verlassen haben.

02 Die Statistik hat insbesondere folgende Punkte zu enthalten:

  • Anzahl derer, die das stationäre Jugendhilfesystem verlassen haben
  • Anzahl derer, die ihre Pflegefamilien verlassen haben
  • Anzahl derer, die zu ihren Sorge- bzw. Erziehungsberechtigten zurückziehen
  • Anzahl derer, die sich ein selbstständiges Leben aufbauen
    • Anzahl derer, die
    • die Schule fortführen
    • ein Studium beginnen
    • eine Ausbildung beginnen

sowie, wenn möglich, die Gründe, warum sie gerade diesen Weg gehen

  • Aufschlüsselung der o.g. Punkte jeweils nach Geschlecht und Alter

03 In der Statistik ist in allen in Betracht kommenden Punkten stets auf spezielle finanzielle Herausforderung für diese jungen Erwachsenen einzugehen.

04 Mithilfe der Statistik werden die Hilfen für jungen Erwachsenen, welche die stationäre Kinder-und Jugendhilfe oder Pflegefamilie verlassen haben, angepasst.

Stellungnahme der Stadtverwaltung

Aus Sicht des Jugendamtes muss die Beschlussvorlage abgelehnt werden. Begründung:

zu 01 bis 03

Das Jugendamt ist gemäß § 98 SGB VIII verpflichtet, statistische Erhebungen durchzuführen. Die im Hinblick auf junge Menschen zu erhebenden Merkmale sind gemäß § 99, Abs. 1, Nr. 2 SGB VIII: Geschlecht, Geburtsmonat und Geburtsjahr, Lebenssituation bei Beginn der Hilfe, anschließender Aufenthalt, nachfolgende Hilfe. Für die statistische Erfassung von Erhebungsmerkmalen wie Schule, Studium, Ausbildung und „spezielle finanzielle Herausforderungen“ gibt es keine gesetzliche Grundlage. Daher ist das Jugendamt nicht berechtigt, zu diesen Merkmalen eine statistische Erhebung vornehmen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat im Oktober 2020 einen Referentenentwurf zum Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG-E) vorgelegt. Der Referentenentwurf sieht vor, in Ergänzung des § 99 SGB VIII für Hilfen außerhalb des Elternhauses nach §§ 27 bis 35a und § 41 zusätzlich zu den bisher genannten Merkmalen auch Angaben zum Schul- und Hochschulbesuch und zum Ausbildungsverhältnis zu erfassen. Sofern im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens entsprechende Regelungen in das SGB VIII aufgenommen werden sollten, wäre das Jugendamt zukünftig gesetzlich verpflichtet, diese Informationen statistisch erheben.

zu 04

Gemäß SGB VIII erhalten alle Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft bis zur Volljährigkeit Hilfe zur Erziehung, wenn es dem Bedarf entspricht. Für die jungen Erwachsenen besteht die Möglichkeit, auch über die Volljährigkeit hinaus Hilfe und Unterstützung in Form erzieherischer Hilfen zu erhalten, sofern im Einzelfall die Leistungsvoraussetzungen des § 41 SGB VIII vorliegen. Der jeweilige individuelle Bedarf wird im laufenden Hilfeplanverfahren gem. § 36 SGB VIII ermittelt. Die sich daraus ergebenden Unterstützungsleistungen und Ziele werden gemeinsam mit den Jugendlichen, den Personensorgeberechtigten (Eltern, Einzel- und/oder Amtsvormünder) der hilfeleistenden Einrichtung und dem fallzuständigen  Sozialarbeiter des öffentlichen Trägers verbindlich festgelegt. Halbjährlich erfolgt die Überprüfung des Standes zur Umsetzung der Ziele.

Grundsätzlich wird sechs Monate vor Volljährigkeit im Hilfeplangespräch mit den Jugendlichen über seine Vorstellungen und Wünsche bezüglich der weiteren Perspektive diskutiert. Dies dient dazu, rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen und Verantwortlichkeiten festzulegen, die einen reibungslosen Übergang in die eigene Wohnung, Betreutes Wohnen, Rückkehr zu den Eltern etc. sicherstellen. Der Abschlusshilfeplan wird vier Wochen vor Volljährigkeit genutzt, um zu prüfen, inwieweit an dem Plan festgehalten wird oder Änderungen, Ergänzungen notwendig sind. Kinder und Jugendliche, die erzieherische Hilfen in stationärer Form, erhalten sind im Rahmen des Hilfeplanes gem. § 36 SGB VIII engmaschig und individuell an der Ausgestaltung der Hilfe beteiligt. Themenfelder wie Schule und Berufsausbildung sind regelhaft in den Hilfeplanprozess integriert, da dieser Bereich entscheidend für die Perspektive der jungen Menschen ist. Hier bekommen sie in Kooperation mit Schule, Heimeinrichtung, Pflegefamilie, Jugendamt die notwendigen Unterstützungsangebote, um bestmögliche Abschlüsse zu erzielen.

Die Stadt Erfurt verfügt über „Qualitätsstandards erzieherische Hilfen und Eingliederungshilfen SGB VIII“, die im Juni 2020 vom Jugendhilfeausschuss beschlossen wurden(DS 0852/20). Grundsätzlich gilt, dass während des gesamten Hilfeverlaufs die Wünsche und Bedürfnisse der Klientinnen und Klienten Berücksichtigung finden. In Bezug auf die Heimerziehung und das Betreute Wohnen gibt es vom Tag der Aufnahme in der Einrichtung bis zur Beendigung der Hilfe einen verbindlich festgelegten Betreuungsprozess, der sicherstellt, dass die Kinder und Jugendlichen in allen Lebensbereichen eine umfassende fachliche Begleitung und Betreuung entsprechend dem individuellen Hilfebedarf erhalten. (Qualitätsstandards S. 17 ff. ). Insofern ist für die Stadt Erfurt unabhängig vom Träger und der Einrichtung geregelt, dass im Rahmen der Qualitätsstandards die individuellen Rechtsansprüche Umsetzung finden. Es bedarf keiner weiteren Beschlussfassung zur Verbesserung dieser Arbeit.

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